Das nächste Gewand für Stefans Niederadels-Darstellung sollte wieder ein Herrenbliaut werden. 2007 hatte ich schon einmal ein solchen angefertigt, den Stefan immer noch gern trägt, mit dem ich aber inzwischen nicht mehr zufrieden bin.
Damals hatte ich ein chemisch gefärbtes Wolle-Seide Gemisch mit eingewebtem Rautenmuster verwendet. Farblich unterscheidet sich dieser Stoff kaum von dem neuen mit Reseda und Waid gefärbten Woll-Diamantköper mit sehr deutlichem, großem Rautenmuster in dunkelgrau. Die Wahl von Diamantköper für das ausgehende 12. Jahrhundert wird nicht unumstritten sein, das ist mir klar.
Ich habe im Vorfeld einiges an Recherche geleistet (etwa mit der Weberin des Museumsdorfs Düppel und mit dem Diamantweber vom Falkensteiner Ritterbund gesprochen, Textilfragmente online und in der Literatur gesichtet und vieles mehr) und das Ergebnis ist einfach: Man kann nicht mit letzter Sicherheit sagen, ob der Stoff für die Darstellung korrekt ist. Dass aber durch das Aufkommen der Flachbettwebstühle die Diamantweberei aufgehört hätte, ist eine jener Szenelegenden, die jeder nachplappert und die jeder Grundlage entbehrt. Tatsache ist, dass Diamantköper auf dem Flachbettwebstuhl genauso gewebt werden kann und dass Gewichts- und Flachbettwebstühle bis zum Ende des 13. Jahrhunderts durchaus parallel verwendet wurden.
Tatsache ist auch, dass es nicht viele Beispiele für Diamantköper aus dem Hochmittelalter gibt (aber es gibt sie). Und diese Textilreste haben sich im klerikalen Bereich erhalten. Diamantköper nur für den Klerus? Da würde ich ganz provokativ die Frage stellen: „Was hat sich denn NICHT im klerikalen Bereich erhalten?“ Kostbare Almosenbeutel mit Minneszenen wurden zu Reliquienbeuteln umgewidmet, Schmuckkästchen zu Reisealtären, und der einzige Grund für Kleidungsstücke, nicht in den Papiermühlen des Spätmittelalters zu landen, war oftmals, dass sie einer „heiligen“ Person gehört hatten.
Jetzt zu den Gründen, für unsere Niederadelsdarstellung des späten 12. Jahrhunderts auf Diamantköper zurückzugreifen: Betrachtet man die zeitgenössischen Miniaturen, so ist gefühlt jedes zweite repräsentative Kleidungsstück mit einem deutlich erkennbaren Rautenmuster versehen. „Raute“ war also in Mode. Teure gemusterte Einweb- oder Ritzware aus Sizilien oder dem Orient kann sich unser Niederadliger sicher nicht leisten. Diamantköper in Doppelfärbung ist ein aufwändiges und dekoratives Material, das aber in Süddeutschland hergestellt werden kann.
Den Schnitt für Stefans Bliaut von 2007 hatte ich Ulrichs Lehnarts „Kleidung und Waffen der Früh- und Hochgotik“ entnommen. Aus dieser Quelle stammt auch der Hinweis, dass der Herrenbliaut linksseitig geschnürt gewesen sei. Lehnarts Darstellung ist im Vergleich mit den zeitgenössischen Bildquellen für meine Begriffe zu kurz und zu weit geschnitten. In den zeitgenössischen Quellen reicht das Gewand stets mindestens bis zur unteren Wade, ist beidseitig hoch geschlitzt und fällt relativ schmal. Auch würde ich Lehnarts Schnittinterpretation mit den rund eingesetzten Ärmelkugeln inzwischen nicht mehr folgen und muss einen neuen Schnitt mit gerade angesetzten Ärmeln, Unterarmkeilen und einem schmaleren, längeren Rockteil zeichnen.
Außerdem stellt sich die Frage nach dem Untergewand. Wenn man die Portalfiguren von Chartres und St Loup den Naud ansieht, wird der Bliaut über einem knöchellangen, repräsentativ gestalteten Untergewand getragen. Auf den Miniaturen, auf denen die „Bliaut-Träger“ zu Pferde oder im Kampf dargestellt werden, fehlt das Untergewand, und unter dem hochgeschlitzten Bliaut werden farblich kontrastierende Beinlinge sichtbar. Diese Trageweisen schließen sich natürlich nicht aus.
Und jetzt noch ein paar Work-in-Progress Fotos:
Weitere Beiträge der Blogserie “Eine niederadlige Familie um 1170”:
Ein Herrenbliaut – die Ausführung